"Entweder Hei oder de I’d Spitzegruppä"
Es ist mittlerweile doch eine Weile her seit meinem letzten Newsletter-Beitrag. Wie einige vielleicht auch schon in meinem letzten Instagram-Post gelesen haben, liefen die Beine auch schon besser…
Nun gut, erstmal möchte ich euch jetzt aber noch über die vergangenen Wochen aufklären. Nach meinem Ausflug in die Türkei an die Mersin Rundfahrt und der doch langen Rückreise in die Schweiz, startete ich voller Vorfreude in den Trainingsalltag. Denn eigentlich sollte ich schon zwei Wochen nach meiner Rückkehr an der Tour de Romandie am Start stehen.
In letzter Minute wurde diese Hoffnung leider durch einen bürokratischen Fehler seitens der UCI doch noch zunichte gemacht, und ich war gezwungen, mich stattdessen auf die anstehenden Rennen in Österreich zu fokussieren. Aber in dieser Hinsicht machte mir mein Körper einen Strich durch die Rechnung. Die vielen absolvierten Rennen, das ständige Reisen sowie der mentale Rückschlag in Zusammenhang mit dem Romandie-Start machten sich plötzlich bemerkbar, und mein Energielevel sank auf ein Rekordtief.
Gemeinsam mit Trainer Jay, der die Situation sofort erkannte und mir 3 Tage Velopause verordnete, hofften wir, das sich langsam abzeichnende Übertraining zu umgehen und sofort gegenzusteuern. Ich genoss es richtig, mal wieder drei Tage nicht an den Radsport zu denken und mich mit anderen Tätigkeiten zu beschäftigen. Unter anderem fand ich Zeit, wieder mal den Lötkolben auszupacken und mich einem schon ewig geplanten Bastelprojekt zu widmen. Es faszinierte mich extrem, wie diese einstige Passion innert kürzester Zeit wieder auflebte, und ich plötzlich anstatt Rollwiderstand, Aerodynamik und Watt/KG nur noch Vorwiderstände, Versorgungsspannungen und Arduino-Bibliotheken im Kopf hatte…
So schnell diese Pause aber begann, so schnell war sie auch schon wieder vorbei, und ich machte mich guten Mutes auf den Weg nach Wels im malerischen Österreich. Bei perfektem Wetter und bester Unterstützung und Organisation der Mannschaft bestritten wir das Kirschblütenrennen am 28. April sowie den GP Voralberg drei Tage später am 1. Mai in Nenzing.
Tatsächlich hatte ich untypischerweise "frische Beine" und konnte beim Kirschblütenrennen in Wels lange ganz vorne mitmischen. Die Tage abseits des Rades machten sich im letzten Renndrittel aber dann doch bemerkbar, und im letzten anspruchsvollen Anstieg "zog es mir völlig den Stecker". Nichtsdestotrotz, ich fühlte mich frisch, spürte den Aufschwung und war entsprechend motiviert, mein Können im Vorarlberg unter Beweis zu stellen…
Meine Beine stellten sich aber erneut quer, entsprechend fehlten mir jegliche Kraftreserven, und ich musste mich schon früh im Rennen zurückfallen lassen. Die Ernüchterung wurde noch verstärkt, als ich mit meiner Verfolgergruppe rund 30 Kilometer vor dem Ziel vom Besenwagen eingesammelt wurde und unserem Rennen damit ein Ende bereitet wurde. DNF – Die englische Bezeichnung für "Did not Finish" stand schlussendlich auf der Rangliste. Das passierte mir in den letzten 2 Jahren genau einmal, und damals endete mein Rennen mit gebrochenem Schlüsselbein in der Notfallstation. Entsprechend frustriert fuhr ich an besagtem Abend in Richtung Heimat.
Gerade deshalb überlegten Jay und ich es uns zweimal, ob ich heute wirklich an der Berner Rundfahrt starten sollte. Die guten Beine bei der gestrigen Kaffeefahrt sowie meine Vorfreude auf das Heimrennen überwogen letztendlich, und ich fröstelte um kurz nach 8 im Rennanzug in Lyss. Wie üblich startete das Eliterennen frühmorgens, um den Hobbyfahrern attraktivere Startzeiten zu ermöglichen. 135 Kilometer mit insgesamt 1730 Höhenmetern standen auf dem Programm, wobei der anspruchsvolle Frienisberg viermal überwunden werden musste.
Wie gewohnt bei Schweizer Eliterennen war der Start hektisch und schnell. Bereits in der ersten Runde wurde der Bergpreis mit voller Kraft angefahren. Bei der Durchfahrt in Baggwil, kurz vor dem ersten Steilstück, befand ich mich noch in den ersten Positionen, doch das hohe Tempo liessmich die Müdigkeit der letzten Tage enorm spüren, und ich fuhr gefühlt rückwärts die steilen Meter hinauf.
Etwa auf Position 80 kam ich oben an und hinterfragte meine Startentscheidung scharf. Zusätzlich war das Fahrerfeld komplett zersplittert, und eine Gruppe mit allen Favoriten fuhr mit 15 Sekunden Vorsprung voraus. Glücklicherweise konnten sich die Fahrer nicht einigen, und unserer Gruppe gelang der erneute Anschluss. Mir war jedoch klar, dass sich dieses Spiel in der nächsten Runde wiederholen würde, also fasste ich einen Entschluss: Entweder vorne raus und mit konstant hohen Tempo mit der Spitzengruppe ins Ziel oder das Rennrad einpacken und die nötige Erholung zuhause nachholen.
Ich entschied mich für Ersteres, und tatsächlich gelang es mir, mich mit drei anderen Fahrern abzusetzen. Wir hielten das Tempo konstant hoch, vermieden jedoch unnötige Leistungsspitzen, was mir sehr entgegenkam, und bauten unseren Vorsprung kontinuierlich aus. Im dritten Anstieg des Frienisbergs musste das Rennen aufgrund eines schweren Sturzes leider unterbrochen werden. Die Pause sollte etwa 20 Minuten dauern und die Renndynamik damit noch einmal komplett auf den Kopf stellen.
Unser geschmolzener Vorsprung wuchs nach dem Neustart kontinuierlich an, da sich das Verfolgerfeld nicht zu einer geordneten Nachführarbeit entscheiden konnte. Entsprechend starteten wir mit einem Vorsprung von drei Minuten in den letzten Anstieg, völlig am Anschlag erkletterte ich mit dem Bergfahrer Diego vom Team VC Mendrisio den letzten Frienisberg. Unsere beiden Weggefährten konnten dem hohen Tempo nicht standhalten und verloren den Anschluss. Im Hauptfeld hingegen wurde nochmals attackiert, und ein Quartett der wohl stärksten Fahrer löste sich aus dem Peloton und holte rasant auf.
Gemeinsam retteten Diego und ich unseren Vorsprung bis ins Ziel, wo ich mich leider im Sprint geschlagen geben musste. *Nichtsdestotrotz bin ich überglücklich mit diesem Resultat, besonders wenn ich mir vor Augen halte, unter welchen Umständen ich es erreichen konnte. *
Schlussendlich ist das doch auch das Schöne am Radsport: Es gewinnt so oft nicht der Stärkste, und mit ein wenig Glück und dem Mut, 110 Kilometer vor dem Ziel loszufahren, lässt sich aus schlechten Beinen doch so ziemlich viel erreichen.
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